Regionales

Lieferketten unter Feuer

Dr. Jens Heller, Nockelmann Rechtsanwälte

Dr. Jens Heller

Rechtsanwalt Dr. Jens Heller von der Dortmunder Kanzlei Nockelmann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB im Gespräch mit unserem Netzwerk.

Herr Dr. Heller, die weltweiten Lieferketten sind massiv gestört und die Preise explodieren. Für mittelständische Unternehmen wird die Lage brisant. Wie schätzen Sie die ökonomische Situation ein?

Die Corona-Krise hat die weltweiten Lieferketten in den letzten beiden Jahren massiv gestört. Aufgrund von Lockdowns und Quarantäne-Maßnahmen gab es globale Beeinträchtigungen in der Produktion und beim Transport. Gegenwärtig sind erneut einige chinesische Häfen in China durch die Zero-Covid-Strategie verstopft. Hinzu kommen weitere Probleme durch den Ukraine-Krieg, z.B. aufgrund verhängter Sanktionen. Energie und Rohstoffe werden momentan immer teurer. Auch fehlen über 100.000 Lkw-Fahrer aus der Ukraine. Alles in allem ist das ein gefährliches Gemisch für den deutschen Mittelstand.

In welchen Branchen und bei welchen Vorprodukten spitzt sich die Lage besonders zu? Können Sie Beispiele aus Ihrer Praxis nennen?

Ich habe selbst lange Jahre als Chefjurist bei einem großen Automobilzulieferer gearbeitet und kenne daher auch die praktische Seite sehr genau. Es gibt weiterhin einen Mangel an Chips und Rohstoffen. Die Auswirkungen am Markt kann man gut erkennen. Aktuell ist der Gebrauchtwagenmarkt leergefegt. Für Neuwagen sind lange Lieferzeiten und mitunter Aufschläge auf den Listenpreis üblich. Preise z. B. für Aluminium sind um fast 80 Prozent gegenüber der Vor-Corona-Zeit gestiegen. Da Magnesium zu 87 Prozent und Mangan zu 96 Prozent aus China kommen, ergeben sich hier weitere Turbulenzen für ganze Branchen, wenn China nicht oder weniger liefert.

Wenn Unternehmen aufgrund der aktuellen Krisen nicht mehr liefern können, welche rechtlichen Folgen und Lösungen ergeben sich daraus?

Die Lieferprobleme durch gestörte Lieferketten betreffen nicht nur die Automobilbranche, sondern auch die Bauindustrie, den Maschinenbau, die Elektro- und Chemieindustrie sowie den Handel. Wer nicht (rechtzeitig) liefert, riskiert die Kündigung und Schadensersatzzahlungen. Um das zu vermeiden, ist eine genaue Analyse der Lieferverträge notwendig. Juristische Entlastung könnte es geben, wenn die Lieferung z. B. aus Gründen wie höhere Gewalt/Force Majeure (vorübergehend) unmöglich wird. Das ist immer im Einzelfall zu prüfen. Mag höhere Gewalt bei Corona noch 2020 gegolten haben, so könnte diese Begründung heute wegfallen, denn man hätte ein erneutes Aufflammen erwarten können. Juristisch zu prüfen sind auch mögliche Entlastungen aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), nach Art 79 CISG oder bei Vereinbarung eines sogenannten Selbstbelieferungsvorbehaltes.

Neben Lieferschwierigkeiten stehen viele Mittelständler vor dem Problem, dass die Einkaufspreise exorbitant steigen und nicht immer an eigene Kunden weitergegeben werden können. Welche rechtlichen Wege empfehlen Sie?

Stark steigende Preise für Energie, Rohstoffe und Materialien, die nicht an Kunden weitergegeben werden können, schmälern die Margen und können schnell existenzgefährdend werden. Auch bei Preisproblemen ist eine eingehende Vertragsanalyse notwendig. Gibt es automatisierte Preisanpassungsklauseln, ist die Geschäftsgrundlage gestört/weggefallen oder bestehen etwa jährliche Preisgespräche, aus denen man eine gelebte Praxis ableiten kann? Zuallererst sollte man jedoch versuchen, mit seinen Kunden eine partnerschaftliche, einvernehmliche Lösung zu erzielen. In Krisenzeiten geht es jedoch häufig um das nackte Überleben. Vor einem unüberlegten Lieferstopp oder dessen Ankündigung ist jedoch dringend zu warnen. Zwingend zu beachten ist auch das Kartellrecht, das z. B. eine Koordinierung leidgeplagter Lieferanten (Wettbewerber) verbietet. Auf jeden Fall sollten Lieferverträge zukunftssicher gestaltet werden, denn Inflation und Turbulenzen in der Beschaffung werden nicht so schnell vorbeigehen.

Wir bedanken uns für das Gespräch, Herr Dr. Heller.

copyright BPF Best Practice Forum GmbH