
Im November befanden sich noch immer über eine halbe Million Beschäftigte in Kurzarbeit. Mit dem angekündigten Lockdown dürfte sich die Zahl wieder erhöhen. Viele Unternehmen sorgen sich um ihre Existenz. Ein Stellenabbau wird daher in vielen Branchen unvermeidbar sein.
Herr Reddemann, was müssen Unternehmen beachten, wenn Kurzarbeit nicht ausreicht und es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt?
Kurz vorab: Kurzarbeit ist für Unternehmen gedacht, damit sie in Krisenzeiten schnell ihre Personalkosten senken können. Die Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben. Damit gehört das Kurzarbeitergeld zu einem wichtigen Kriseninstrument in Deutschland, das europaweit seinesgleichen sucht. Die Arbeitsagenturen haben nach dem Shutdown den Unternehmen sehr schnell und unbürokratisch geholfen und somit sehr viele Arbeitsplätze gerettet. Aber auf Dauer wird das Instrument der Kurzarbeit für viele Unternehmen nicht ausreichen. Um finanziellen Schieflagen und Insolvenzen vorzubeugen, wird es in den nächsten Monaten vermutlich zu vielen betriebsbedingten Kündigungen kommen. Dabei müssen Arbeitgeber beachten, dass ein Wechsel von Kurzarbeit zur betriebsbedingten Kündigung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber erheblich schwieriger als eine direkte betriebsbedingte Kündigung ist. Sie ist während der Kurzarbeit sozialwidrig, wenn sie aus denselben Gründen erfolgt, die auch bereits zur Kurzarbeit geführt haben, was häufig der Fall sein dürfte.
In welchen Fällen können denn Kündigungen ausgesprochen werden?
Kurzarbeit beruht auf einer Prognose und einem vorübergehenden Arbeitsausfall, beispielsweise von sechs bis neun Monaten. Danach sollen die Beschäftigten wieder zu ihren alten Arbeitszeiten zurückkehren. Eine betriebsbedingte Kündigung hingegen verlangt einen dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsgrundlage. Das spricht zunächst einmal gegen eine Kündigung bei Kurzarbeit. Möchte der Arbeitgeber dennoch bei Kurzarbeit eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, muss er dokumentieren, dass neue Erkenntnisse vorliegen, die dies rechtfertigen. Er muss außerdem regelmäßig die Kurzarbeit für den oder die Betroffenen beenden, da die gesetzlichen Grundlagen hierfür nicht mehr vorliegen.
Was wäre noch zu beachten?
Der Arbeitgeber muss prüfen, ob es nicht mildere Mittel als den Ausspruch von Kündigungen gibt, beispielsweise Versetzungen oder eine Beschäftigung nach Änderungskündigung in einer anderen Tätigkeit. Sofern das Kündigungsschutzgesetz gilt, muss auch eine Sozialauswahl durchgeführt werden. In jedem Fall sind Kündigungsfristen einzuhalten, notwendige Zustimmungen (etwa bei der Kündigung von Personen mit Sonderkündigungsschutz) sind einzuholen und ein etwaiger Betriebsrat anzuhören.

Was muss dokumentiert werden?
Wir empfehlen Arbeitgebern genau zu dokumentieren, welche neuen Umstände aufgetreten sind, die eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen. Das sollten sie auch mit Zahlen belegen. Als Beispiele können genannt werden: ein wichtiger Großkunde fällt weg, weitere Kunden sind selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten und bestellen weniger oder Arbeiten werden fremdvergeben und dadurch günstiger. Wenn sie dazu neue Unternehmenskonzepte entwickelt werden, sollten auch diese von den Arbeitsgerichten nur beschränkt überprüfbare Entscheidung sauber belegt werden.
Nach einer betriebsbedingen Kündigung während der Kurzarbeit stellen sich gleich mehrere Fragen. Gilt weiterhin die Kurzarbeit? Welcher Lohn wird gezahlt?
Zunächst einmal sollten bestehende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen nach Klauseln zur Kurzarbeit und Kündigung durchgesehen werden. Viele enthalten arbeitnehmerfreundliche Regelungen, die z. B. einen vollen Lohnausgleich bis zum Ende der Kündigungsfrist vorsehen oder Kündigungen während der Kurzarbeit generell ausschließen. In kleinen und mittleren Unternehmen hingegen fehlen häufig solche Vereinbarungen.
Was gilt für personen- oder verhaltensbedingte Kündigung während der Kurzarbeit?
Diese können auch während der Kurzarbeit ausgesprochen werden. Es gelten keine Besonderheiten. Allerdings besteht hier bei der Kündigung wegen angeblichem Fehlverhalten ein hohes Konfliktpotential, so dass diese Kündigungen in der Regel vor dem Arbeitsgericht ausgetragen werden – auch ohne Kurzarbeit. Bei den Kündigungen wegen Krankheit gelten eigentlich keine Besonderheiten in dieser Phase.
Was raten Sie Unternehmen in der aktuellen Situation?
Die Kündigung von Mitarbeitern ist für Unternehmer eine sehr unangenehme Aufgabe. Die Reaktion auf diese möglicherweise existenzbedrohende Botschaft ist nicht vorhersehbar. Da Kündigungen sehr konfliktanfällig sind, sollten sie gut vorbereitet werden. Eine intensive Vorberatung und die Auswahl des richtigen Weges sind anzuraten. Dies gilt insbesondere dann, wenn Sozialplanverhandlungen anstehen oder wenn eine Massenentlassungsanzeige gefertigt werden muss. Sofern gewünscht und sofern es nicht um den Bausektor geht, stehen wir mit gleich zwei Fachanwälten für Arbeitsrecht in Recklinghausen und Marl gerne zur Verfügung.
Warum nicht im Baubereich?
Wir genießen das Vertrauen einer großen und traditionsreichen Gewerkschaft, der IG B.A.U. (Frankfurt) und beraten nicht zuletzt deswegen viele Betriebsräte im Baugewerbe. In dieser Branche treten wir daher nur auf der Arbeitnehmerseite auf.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Reddemann.